Die Finanzierung der Förderung eines legasthenen Kindes stellt Eltern oft vor große Probleme. Die Annahme, dass die Verankerung der Lese-Rechtschreibstörung im ICD-10 auch dazu führt, dass die Behandlung der Legasthenie als kassenärztliche Leistung anerkannt wird, wird oft nicht bestätigt. Die Krankenversicherungen lehnen die Bitte zur Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass gemäß der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Lese-Rechtschreibstörung nicht zu den Krankheiten zählt.
Daher wenden sich viele Eltern an die Jugendhilfe und stellen dort Anträge auf Kostenübernahme. Allerdings stellt die in den letzten Jahren deutlich gestiegene Anzahl von Anträgen auf Eingliederungshilfe eine Herausforderung für die öffentliche Jugendhilfe dar. Die Jugendhilfe ist gemäß des Kinderjugendhilfegesetzes (KJHG) durch eine Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierung und eine Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen gekennzeichnet. Die Leistungen der Jugendhilfe werden von Trägern der freien Jugendhilfe (z. B. Erziehungsberatungsstellen) und von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendamt) erbracht. Die nachfolgend beschriebenen Leistungsverpflichtungen richten sich an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Zu den Formen der für die Legasthenieförderung relevanten Aufgaben gehören die Hilfen zur Erziehung (§ 27 SGB VIII) und die Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII, IX). Ob seitens der Jugendhilfe Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Erziehung gewährt wird, ist in der Praxis umstritten. Häufig wird nach § 35a Eingliederungshilfe gewährt.
§ 35a SGB VIII Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche:
(1) Kinder und Jugendliche, die seelisch behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, haben Anspruch auf Eingliederungshilfe. Die Hilfe wird nach Bedarf im Einzelfall
1. in ambulanter Form,
2. in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3. durch geeignete Pflegepersonen und
4. in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.
Der Bundestag hat am 6. April 2001 das "Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" verabschiedet. In Artikel 8 Nr. 1 SGB IX wurde der § 35a SGB VIII neu gefasst bzw. dem vereinheitlichten Behinderungsbegriff angepasst. Die Anspruchsvoraussetzungen wurden systematisch in zwei Teile zerlegt, wodurch die Aufgabenverteilung zwischen dem Arzt einerseits und den Jugendamtsfachkräften andererseits nochmals deutlicher wird. Absatz 1 des § 35a SGB VIII lautet nunmehr:
"Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist."
Für Aufgaben und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Maßnahmen gelten § 39 Abs. 3 und § 40 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sowie die Verordnungen nach 47 des BSHG, soweit die einzelnen Vorschriften auf seelisch Behinderte Anwendung finden. Nachfolgend wird der nach § 39 definierte Personenkreis dargestellt.
� 39 BSHG Personenkreis und Aufgabe
(1) Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, ist Eingliederungshilfe zu gewähren. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung kann sie gewährt werden.
(2) Den Behinderten stehen die von einer Behinderung Bedrohten gleich. Dies gilt bei Personen, bei denen Maßnahmen der in den §§ 36 und 37 genannten Art erforderlich sind, nur, wenn bei Nichtdurchführung dieser Maßnahmen eine Behinderung einzutreten droht.
(3) Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört vor allem, den Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.
(4) Eingliederungshilfe wird gewährt, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.