Diese Frage lässt sich nur allgemein beantworten, da die individuelle Entwicklung der einzelnen legasthenen Kinder sehr unterschiedlich ist. Die Lese-Rechtschreibstörung bleibt überwiegend bis ins Erwachsenenalter bestehen. Kaum ein Schüler, der zu Beginn der zweiten Klasse Leseschwierigkeiten aufwies, erzielte in der 8. Klasse durchschnittliche Leistungen (Wiener Längsschnittstudie, Klicpera et al. 1993). Leseschwache Kinder bleiben bis zur 12. Klasse leseschwach (Connecticut Längsschnittstudie, Shaywitz et al. 1999). Jugendliche mit einer LRS erreichen ein im Verhältnis zu ihren kognitiven Möglichkeiten zu geringeres Schulabschlussniveau: Legasthene Jugendliche besuchen häufig die Hauptschule und Realschule, z. T. auch die Sonderschule. Ein gymnasialer Abschluss wird vergleichsweise selten erreicht.
Im Vergleich zu ihren kognitiven Fähigkeiten erreichen Rechtschreibgestörte ein deutlich geringeres Berufsausbildungsniveau (Strehlow et al. 1992). Es werden weniger akademische Berufe gewählt, obwohl die Betroffenen aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten sehr gut in der Lage wären, solche Berufe auszuüben. Insgesamt ist die Rate der Arbeitslosigkeit unter den Legasthenikern deutlich erhöht (Esser et al. 2002). Diese Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass die LRS kein vorübergehendes Entwicklungsphänomen ist, sondern eine Störung darstellt, die ein Handicap für das gesamte Leben ist.
Im Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1978 wird davon ausgegangen, dass durch die Förderung in den Jahrgangsstufen 1 bis 6 Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben im Wesentlichen behoben sind. Diese Erwartung ist bisher nicht durch empirische Befunde bestätigt. Trotz optimaler Förderung verbessern sich rechtschreibschwache Fünftklässler bis ins Erwachsenenalter nur unwesentlich (Jungermann 2002). Mit Ausnahme des Bundeslandes Bayern wird kein Schutz der legasthenen Schüler bis zum Abitur garantiert. Häufig entsteht sogar ein Leistungseinbruch beim Übergang von Klasse 9./10 in Klasse 11, da ab diesem Zeitpunkt die schriftlichen Leistungen der diagnostizierten Legastheniker ohne erkennbaren Grund wieder bewertet werden. Dieses Vorgehen führt nicht selten dazu, dass Legastheniker, die ihre Störung bisher zufriedenstellend kompensieren konnten, plötzlich in der Schule versagen und eine Reihe von zusätzlichen emotionalen Problemen entwickeln.
Die Entwicklung der LRS wird durch verschiedene Faktoren mitbestimmt, die sich wiederum gegenseitig untereinander beeinflussen können. Legasthene Kinder mit recht hohen kognitiven Fähigkeiten durchlaufen insgesamt eine bessere Entwicklung. Ferner zählt ein unterstützendes Elternhaus zu den schützenden Faktoren.
Die Entwicklung von legasthenen Kindern, die zusätzliche Störungen (wie zum Beispiel eine Hyperkinetische Störung) haben, ist vergleichsweise schlechter.
Dementsprechend ist auch das Berufsausbildungsniveau der Legastheniker herabgesetzt.
Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die psychische Entwicklung der Betroffenen. Häufig finden sich ein geringes Selbstwertgefühl, eine geringe Frustationstoleranz und z. T. ein negatives Selbstbild mit einer pessimistischen Zukunftserwartung.
Auch Verhaltensstörungen in Form von impulsivem und aggressivem Verhalten treten in der Entwicklung auf. Insbesondere bei legasthenen Kindern mit einer bereits vorschulisch diagnostizierten hyperkinetischen Störung besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Störung des Verhaltens.
Einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung sollte der Faktor Förderung und Therapie haben. Allerdings sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen hierzu widersprüchlich. Trotz Förderung ist die Entwicklung im Lesen und Rechtschreiben insgesamt nicht sehr gut. Diese Aussage wird natürlich durch die Auswahl des Verfahrens zur Förderung beeinflusst. Bei nicht effektiven Methoden ist der Verlauf der Legasthenie sehr schlecht, da sich die Betroffenen im Verhältnis zum Klassendurchschnitt weiter verschlechtern.