Die Formen der Förderung können nach verschiedenen Gesichtspunkten differenziert werden. Ausgehend von der Annahme, dass der Legasthenie spezifische Defizite in der Wahrnehmung von auditiver und visueller Information zugrunde liegen, wird versucht, diese Schwächen zu behandeln, um dadurch die Voraussetzungen für das Erlernen der Schriftsprache zu verbessern. Diese Form wird nachfolgend als das Training von basalen Wahrnehmungsfunktionen bezeichnet. Hierzu gehören Verfahren, die die sogenannte Ordnungsschwelle, d. h. das Intervall zwischen 2 Reizen, das zur Getrenntwahrnehmung dieser Reize notwendig ist, trainieren. Ebenfalls in diese Sparte gehören Verfahren, die zur Verbesserung der Steuerung der Blickbewegung eingesetzt werden. Diese Verfahren sind dadurch charakterisiert, dass sie auf einer sehr schriftsprachfernen Ebene ansetzen und zur Anwendung recht kostspielige Geräte angeschafft werden müssen.
Dem gegenüber stehen die symptomspezifischen Förderprogramme, die schriftsprachnah sind und in der Regel Teilprozesse des Lesens und Rechtschreibens fördern. Zu dieser Form der Förderung gehören z. B. Programme zur Verbesserung der Lautbewusstheit oder Rechtschreibregeltrainings.
Die symptomspezifischen Trainings lassen sich sinnvoll nach dem Modell des Schriftspracherwerbs von Frith (1985) verschiedenen Entwicklungsstufen zuordnen (Abbildung 2). Das Modell von Frith (1985), das durch eine Reihe von empirischen Studien in seinen grundlegenden Annahmen bestätigt werden konnte, geht zunächst von einer sogenannten logographischen Entwicklungsstufe aus. Diese vorschulische Entwicklungsstufe der Verschriftlichung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kinder bereits eine Vorstellung davon haben, dass Laute bzw. Wörter in Zeichen ausgedrückt werden können, jedoch noch kein Wissen über die Buchstaben-Laut-Beziehung haben. Daher verschriftlichen sie ein Logogramm als Zeichen für ein Wort. Das Lesen auf dieser Entwicklungsstufe ist durch das Erkennen von besonderen Merkmalen einzelner Wörter gekennzeichnet. Einzelne Wörter werden aufgrund ihres Symbol- oder Zeichencharakters wiedererkannt, ohne dass ein Verständnis über die Buchstaben-Laut-Beziehung vorliegt (z. B. Wiedererkennen des eignen Namens an einzelnen Buchstaben).
Die darauffolgende alphabetische (phonologische) Entwicklungsstufe beginnt mit der schulischen Unterrichtung. Durch die Vermittlung der Buchstaben-Laut-Zuordnung wird das Prinzip der Schriftsprache eingeführt. Die Verschriftlichung ist im Wesentlichen lautgetreu, das Lesen ist durch das Erlesen von einzelnen Buchstaben und das Verbinden der einzelnen Laute gekennzeichnet. Diese Stufe kennzeichnet überwiegend den Entwicklungsfortschritt in den ersten beiden Grundschulklassen.
Die orthographische Entwicklungsstufe kennzeichnet den Erwerb von Wissen über Regelmäßigkeiten von Buchstabenfolgen, Morphemen und überorgeordneten grammatikalischen und semantischen Strukturen der Schriftsprache. Auf dieser Entwicklungsstufe sind die Kinder in der Lage, einzelne Wörter als Ganzes zu lesen.
Die genaue Analyse des individuellen Entwicklungsniveaus eines lese- und rechtschreibgestörten Kindes ermöglicht die Zuordnung zu einer der genannten Entwicklungsstufen. Darauf aufbauend wird über den passenden Förderansatz entschieden (z.B. Förderung von Lautbewusstheit oder von orthographischem Wissen).
Förderung auf der alphabetischen Entwicklungsstufe
Der Ansatz, phonologische Bewusstheit zu fördern, geht auf die zahlreichen empirischen Befunde zurück, die eindrucksvoll belegen, dass phonologische Bewusstheit einen zentralen Fakor für den Schriftspracherwerb darstellt. Mittlerweile liegen eine Vielzahl (im Wesentlichen englischsprachige) Therapiestudien vor, die die Wirksamkeit dieses Ansatzes belegen. Im Vordergrund dieses Förderansatzes stehen folgende Aspekte:
- Analyse (Zerlegen von Wörtern in Laute)
- Synthese (Zusammenfügen von Lauten zu Wörtern)
- Silbengliederung
- Lautgedächtnis
Neben der Förderung von phonologischer Bewusstheit gehört hierzu auch die Förderung folgender Bereiche, die bei der Legasthenie als schwächer ausgebildet gefunden wurden:
- Buchstaben-Laut-Zuordnung
- Förderung der Wortlesefähigkeit
Förderung auf der orthographischen Entwicklungsstufe
Im Vordergrund der Förderung auf der orthographischen Entwicklungsstufe stehen regelgeleitete Rechtschreibförderprogramme. Der Einsatz eines Regeltrainings ist unter dem Gesichtspunkt sinnvoll, dass Regelfehler einen großen Anteil an den Rechtschreibfehlern von Grundschulkindern haben. Bei Kindern der zweiten Klasse sind 66% der Rechtschreibfehler Regelfehler. Ferner haben legasthene Drittklässler häufig keinerlei Regelwissen bzw. können bei ausreichender Regelkenntnis die Regeln oft nicht anwenden. Rechtschreiboperationen, die in Einzelprozessen richtig durchgeführt werden (z.B. Mitlautverdopplung nach kurzem Selbstlaut) können nicht auf den gesamten Schriftsprachprozess übertragen werden (z. B. wenn zusätzlich die Entscheidung über Groß- und Kleinschreibung getroffen werden muss. Das Ziel eines Rechtschreibtrainings ist daher über die reine Vermittlung von Regelwissen auch die Vermittlung von Lösungsstrategien.
Ein weiterer positiver Aspekt von Regeltrainings ist, dass sie sich gut in den Schulalltag integrieren lassen. Die Abgrenzung vom normalen Förderunterricht besteht zum einen darin, dass der Bereich Rechtschreibregeln, der im normalen Unterricht nur einen verschwindend geringen Raum in Anspruch nimmt (weniger als 1%, Gasteiger-Klicpera & Klicpera 1988), in den Vordergrund rückt. Zum anderen werden im Regeltraining auch gezielt Lösungsstrategien vermittelt (z. B. Schulte-Körne und Mathwig 2001). Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass rechtschreibschwache Kinder nicht nur einfach quantitativ intensiveren, sondern qualitativ anderen Förderunterricht benötigen.
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